RatioBlog
Kritische Betrachtungen über Naturwissenschaften, Alternativmedizin, Alltagsmythen, Parawissenschaften und Wissenschaft in den Medien

16.
Januar
2011

Macht doch nix!

Geschrieben von Michael Hohner am 16. Januar 2011, 09:20:33 Uhr:

Ein Argument, das man in Diskussionen über Esoterik und Alternativmedizin immer wieder hört, ist

Macht doch nix, wenn jemand an Wahrsager oder Homöpathie glaubt. Soll doch jeder selbst entscheiden, was er oder sie tut.

Dieses Argument impliziert die Behauptungen, dass die entsprechenden Handlungen von Einzelnen nur eine Auswirkung auf sie selbst haben, und dass wenn z. B. Homöpathie völlig wirkungslos ist, doch auch kein Schaden entsteht.

Dazu ein paar Beispiele:

Gloria Thomas

Gloria Thomas aus Sydney war 4 Monate alt, als sie an einem Ekzem erkrankte, was leicht mit einem Besuch beim Hautarzt und einer Salbe mit einer sehr hohen Erfolgsquote zu behandeln gewesen wäre. Glorias Vater war jedoch Homöopath, und die Eltern lehnten die Behandlung mit „allopathischen” Medikamenten ab. Stattdessen wurde sie mit homöopathischen Mittelchen behandelt. Wenig überraschend zeigten diese keine Wirkung, und die Erkrankung verschlimmerte sich. Die Eltern beharrten weiter auf homöopathischer Behandlung. Schließlich brachen die Ekzeme auf, Keime drangen an vielen Stellen in die Haut ein, und eine schwerwiegende Infektion war die Folge. Als sie endlich in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, war es bereits zu spät. Sie starb am 8. Mai 2002 an den Infektionen. Sie wurde 9 Monate alt.[1]

Maramani Jugur

Maramani Jugur lebte in Badamathur, Indien, als eine Nachbarin starb. Die Verwandten der Toten beschuldigten Maramani Jugur, den Tod durch Hexerei herbeigeführt zu haben. Am 22. Mai 2008 entführten sie Maramani Jugur, knebelten und schlugen sie und zündeten sie schließlich an. Maramani Jugur wurde 30 Jahre alt.[2]

Wünschelruten im Irak

Die Firma ATSC verkaufte ab 2008 Sprengstoffdetektoren an die irakische Armee. Die Detektoren bestanden im Wesentlichen aus einer ausziehbaren, leicht drehbaren Radioantenne und ein paar Bauteilen und Drähten in einem Plastikgehäuse. Die Bediener müssten die Antenne nur auf das zu kontrollierende Fahrzeug richten, und ein Ausschlagen der Antenne würde jeden Sprengstoff in bis zu einem Kilometer Entfernung sofort anzeigen. Das Gerät war also nichts anderes als eine Wünschelrute im modernen Gewand.

Der Irak kaufte über 1500 Stück zum Einzelpreis von 16500 bis 60000 US-$ und setzte sie an Kontrollposten im Irak ein. Die übliche Kontrolle des Innenraums und des Unterbodens der Fahrzeuge unterblieb oft in solchen Fällen.

Durch eine so unentdeckte Bombe kamen z. B. am 25. Oktober 2009 155 Menschen ums Leben, drei Ministerien wurden zerstört. Der Irak hat mindestens 85 Millionen US-$ für diese Wünschelruten ausgegeben.[3]

General Ne Win

General Ne Win war einer der Diktatoren von Myanmar (Burma). Zudem war er überzeugt von Astrologie und ließ sich intensiv astrologisch beraten. Seine angebliche Glückszahl war 9, er sollte 90 Jahre alt werden, usw., und so umgab er sich mit allem, was mit der Zahl 9 zu tun hatte. Besonders einschneidend war seine entsprechende Währungsreform: Er erklärte die Banknoten mit Nennwert 50 und 100 Kyat als ungültig und führte neue Banknoten mit den Nennwerten 45 und 90 Kyat ein. Damit wurde der Großteil der Ersparnisse der burmesischen Mittelklasse über Nacht wertlos, und die Wirtschaft des Landes brach endgültig zusammen.[4]

Sylvia Millecam

Sylvia Millecam war eine niederländische Schauspielerin. Im Jahr 1999 wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Statt sich einer Standardtherapie zu unterziehen, begab sie sich in die Hände von allerlei Alternativmedizinern, Geistheilern usw. Die redeten ihr ein, sie sei nur an einer Infektion erkrankt. Wirkungslose Alternativtherapien wurden ausprobiert, und es wurde ihr weiter abgeraten, sich von regulären Ärzten behandeln zu lassen. Sie starb schließlich 2001 an ihrer Krebserkrankung.[5]

Isabella Denley

Isabella Denley aus Kew, Australien, litt an epileptischen Anfällen. Ihr wurden krampflösende Medikamente verschrieben. Ihre Eltern misstrauten diesen jedoch, und sie ließen ihre Tochter stattdessen durch Kinesiologen, Osteopathen und Rückführungstherapeuten behandeln. Sie bekam ausschließlich homöopathische Medikamente. Sie starb mit 13 Monaten während eines unbehandelten Krampfanfalls.[6]

Arjen Robben

Arjen Robben, der niederländische Fußballspieler in den Diensten des FC Bayern München, erlitt vor der WM 2010 einen Muskelfaserriss. Die Standardtherapie dafür ist eine Schonung des Muskels. Sein Therapeut, der auch als „Wunderheiler” gehandelte Dick van Toorn, versuchte jedoch, die Verletzung durch starke Dehnung des Muskels zu behandeln, was prompt die Verletzung dermaßen verschlimmerte, dass Robben erst am Jahresende überhaupt wieder spielen konnte.

Die lange Ausfallzeit von Robben schadete nicht nur ihm selbst. Der FC Bayern München, und hier insbesondere die Fußballabteilung FC Bayern München AG und ihre Anteilseigner, haben den finanziellen Schaden zu tragen.


Ich höre jetzt schon das Gegenargument: „Aber auch die ‚Schulmedizin’ oder etablierte Methoden wie die Wettervorhersage sind nicht fehlerfrei, und Menschen kommen zu Schaden oder sterben dabei”.

Das ist grundsätzlich richtig. Diese Methoden haben aber eine nachweisliche Wirkung oder Erfolgsquote, die deutlich größer als Null ist. In dem Fall ist eine Abwägung von Nutzen und Risiko sinnvoll möglich. Ist aber die Wirkung nachweislich nicht vorhanden, dann muss eine solche Abwägung zwangsläufig negativ ausfallen.

Das nächste, formelle Gegenargument wird sein: „Du sagst doch immer, Anekdoten sind keine guten Nachweise. Und jetzt bringst du Anekdoten, um dein Argument zu führen?”

Der Unterschied ist, dass ich hier nicht Anekdoten verwende, um die Richtigkeit einer Hypothese zu belegen, sondern deren Unrichtigkeit. Wer seinen Popper gelesen hat, kennt diese Asymmetrie der wissenschaftlichen Nachweise. Einzelne Nachweise, oder auch eine ganze Reihe davon, sind nicht ausreichend, um die Richtigkeit einer Aussage zu belegen. Ist die Aussage jedoch in der Form „es gibt kein…” (also hier z. B.: „es gibt keinen Schaden durch Homöopathie”), dann sind einzelne Gegenbeispiele absolut geeignet, eine solche Aussage zu widerlegen.


  1. The Sydney Morning Herald: Death of baby Gloria sparks hunt for truth (6.10.2007)
  2. Thaindian News: Young woman burnt to death over witchcraft (30.5.2008)
  3. New York Times: Iraq Swears by Bomb Detector U.S. Sees as Useless (3.11.2009)
  4. Robin Zhang: How Astrology Ruined Myanmar’s Economy (26.5.2008)
  5. Expatica News: Psychic 'misled actress to hopeless cancer death' (18.2.2004)
  6. Jamie Berry: Inquest told parents 'rejected advice' (26.11.2003)