RatioBlog
19.
Juli
2011

Fehlschluss #8: Argumentum ad hominem

Geschrieben von Michael Hohner am 19. Juli 2011, 07:45:19 Uhr:

In einer rationalen Diskussion geht es immer um die Sache. Die Beteiligten sind eher nebensächlich. Auf ein Argument für oder gegen eine These folgt entweder Zustimmung oder ein Gegenargument, wieder für oder gegen eine These. Leider ändert sich oft die Diskussion, wenn einer Seite die Argumente ausgehen. Dann wird nicht mehr in der Sache, sondern gegen die Personen der Gegenseite argumentiert. Das Argumentum ad hominem („gegen den Mensch”) hat die allgemeine Form:

Person A hat den Makel B, folglich sind ihre Argumente falsch.

Es ist unmittelbar einsichtig, dass das Argumentum ad hominem ein Fehlschluss ist. Der Makel B mag vorhanden sein. Aber wenn er keine unmittelbare Wirkung auf die Argumentation der Person hat, dann lässt sich daraus keine Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Argumente ableiten. Ob ein Argument richtig oder falsch ist, wird korrekterweise am Argument selbst festgemacht, nicht an der Person, die das Argument führt.

Das Sprichwort

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht…
mag emotional nachvollziehbar sein, ist aber genaugenommen dieser Fehlschluss. Frühere Lügen sind sicher ein Anlass, aktuelle Aussagen genauer zu überprüfen. Aber sie lassen nicht automatisch darauf schließen, dass aktuelle Aussagen unwahr sind.

Noch deutlicher wird der Fehlschluss, wenn der angekreidete Makel nichts mit dem Argument zu tun hat, z. B.

Der Studienautor wurde einmal wegen Steuerhinterziehung angeklagt, deshalb sind die Studienergebnisse unglaubwürdig.
oder auch, wenn der Makel nur ein scheinbarer ist, z. B.
Einstein war Jude, deswegen ist die Relativitätstheorie falsch.

Auch der beliebte Satz

Du musst doch von X bezahlt sein, damit du das sagst.

ist nichts anderes als ein Ad-hominem-Argument. Abgesehen davon, dass er meistens ohne jeden Nachweis ausgesprochen wird, lässt sich von den Einnahmequellen nicht automatisch der Wahrheitsgehalt der Aussagen ableiten.

Wer nur ein Argumentum ad hominem führt, drückt sich davor, auf das eigentliche Sachargument einzugehen, oft aus gutem Grund.

Kein Ad hominem

Manche Leute fühlen sich schon bei Widerspruch oder Widerlegung ihrer Argumente persönlich angegriffen. Aber solange ein Argument gegen die Argumente der Gegenseite geht und nicht gegen die Person, dann liegt per Definition kein Argumentum ad hominem vor. Da spielt es keine Rolle, wie das Gegenargument emotional aufgenommen wird.

Ebenso ist es kein Argumentum ad hominem, wenn in einer hitzigeren Auseinandersetzung ein Argument z. B. als „dumm” bezeichnet wird, solange es ausdrücklich um das Argument geht. Selbstverständlich hat eine solche Aussage nur dann einen Wert, wenn gleichzeitig dargelegt wird, warum das Argument dumm sein soll.