November
2010
Warum TV-Debatten vergeudete Zeit sind
Geschrieben von Michael Hohner am 16. November 2010, 07:31:31 Uhr:
Heute Abend wird es wieder eine Sendung „Menschen bei Maischberger” geben, diesmal mit dem Thema „Übersinnliche Kräfte: Mysterium oder Mumpitz?”. Die Sendung ist noch nicht gelaufen, aber ich wage dennoch – in völliger Abwesenheit übersinnlicher Kräfte – eine Vorhersage, wie die Sendung ablaufen wird.
Die Grundkonstellation ist wie immer. Es werden sechs Gäste eingeladen, diesmal drei Esoteriker und drei Rationalisten. Die Gästeaufteilung ist also scheinbar fair und ausgeglichen. Jeder darf mal zu Wort kommen, und am Ende hat sich der Zuschauer über die Argumente eine Meinung gebildet. So die Vorstellung der Macher, direkt entnommen aus dem Journalismushandbuch. Nur wird es so nicht kommen.
Diese Art der Gästezusammenstellung ist angebracht, wenn es um Politik, Kultur, etc. geht, also wenn hauptsächlich eine Ausgewogenheit zwischen verschiedenen aber gleichberechtigten Meinungen, Geschmäckern und Wertungen hergestellt werden soll. Wenn es aber um Aussagen geht, die empirisch nachprüfbar sind, also wie hier um Wissenschaft bzw. Pseudowissenschaft, dann ist ein solcher Ausgleich völlig fehl am Platz. Hier zählen keine Meinungen oder Wertungen, egal ob sie von Nobelpreisträgern oder Schiffschaukelbremsern stammen, sondern alleine handfeste Nachweise. Ob die Aussagen der Akteure wahr oder falsch sind, das lässt sich auch ohne eine TV-Diskussion ermitteln. Auch die Meinung, die sich der Zuschauer bilden wird, ist als Ergebnis irrelevant. Die Realität richtet sich nicht danach, welche Meinung ein Mensch über sie hat.
Diese fehlgeleitete Ausgewogenheit ist auch eine Selbsttäuschung der Macher. Wenn das Ziel der Produktion überhaupt ist, zu einer tieferen Erkenntnis zu kommen und nicht nur zu einer höheren Einschaltquote, dann ist es jedenfalls der falsche Weg, 50% Realität mit 50% Bullshit zu mischen und zu erwarten, dass sich in der Mitte die Wahrheit herauskristallisieren wird.
Desweiteren wird sich keine echte Diskussion mit Argument und Gegenargument ergeben. Die Esoteriker haben es leicht, in zwei Minuten Redezeit einen Schwall wildester Behauptungen aufzustellen. Die Rationalisten würden zehn oder mehr Minuten für jede einzelne benötigen, um diese in einer fehlerfreien und nachvollziehbaren Gegenargumentation zu widerlegen. Soviel Zeit wird diesen natürlich nicht gewährt. Das Format erlaubt es einfach nicht, mehr als einen oder zwei Sätze am Stück zu sagen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als ebenso verkürzt und unbefriedigend zu widersprechen. Falls ein Esoteriker auf ein fehlerhaftes Argument hingewiesen wird oder eine kritische Rückfrage erhält, dann wird er ausweichend antworten, das Thema wechseln und dem Rationalisten zehn neue Brocken hinwerfen, notfalls auch frisch erfundene. Mit diesem als Gish Gallop bekannten Argumentationsstil sieht der Esoteriker immer besser aus als der Rationalist. Er hat zwar nichts Handfestes anzubieten, aber alleine durch die Masse der Behauptungen, die während der Debatte nicht widerlegt wurden, geht er oberflächlich gesehen als der Sieger hervor.
Wenn sich die Diskussion einmal zuspitzen sollte, also z.B. ein Rationalist einen Esoteriker so auf eine konkrete Aussage festnageln sollte, dass ein Ausweichen nicht möglich ist, dann entsteht eine angespannte Situation. Just in dem Moment wird sich die Moderatorin einschalten und das Thema wechseln, einen Kompromiss herzustellen versuchen oder sonstwie die Situation versuchen zu entschärfen. Das hat zur Folge, dass die Diskussion an dieser Stelle wieder einmal im Sande verläuft. Jeder Ansatz eines längeren Arguments wird spätestens durch das Ins-Wort-Fallen der Gegenseite oder durch die Moderation abgewürgt. Bei solchen Diskussionen kommt einfach nichts am Ende raus.
Es ist auch eine falsche Annahme, der Zuschauer würde die Argumente der Diskutierenden abwägen und dann zu seiner eigenen Meinung kommen. Der Zuschauer hat meist schon vorher seine Meinung, die er mehr oder weniger gut bestätigt sehen möchte. Die Unentschlossenen lassen sich weniger vom Inhalt der Argumente überzeugen, sondern eher davon, wie sie vorgebracht werden, ob sie lustig oder emotional sind, welcher der Gäste sympathischer rüberkommt, wer die bessere Geschichte erzählen kann, oder notfalls davon, wer besser aussieht. Da die Esoteriker ohnehin nicht auf den Inhalt ihrer Argumente achten müssen, können sie sich voll auf diese Aspekte konzentrieren und besser punkten als die Rationalisten, die schließlich auch noch sicherstellen müssen, dass sie keinen Blödsinn erzählen. Kurz gesagt, auch für den Zuschauer bleibt nichts Wesentliches hängen.
Meiner Meinung nach tun sich Rationalisten selbst keinen Gefallen, wenn sie sich für derartige Veranstaltungen hergeben. Sie stellen damit den Hokuspokus auf eine gleich hohe Stufe wie Wissenschaft, und es entsteht der falsche Eindruck, es gäbe überhaupt einen Anlass, den Hokuspokus wie eine gleichberechtigte, alternative wissenschaftliche Hypothese zu diskutieren. Der hektische Stil dieser auf Krawall gebürsteten Sendungen lässt eine vernünftige Argumentation überhaupt nicht zu und spielt den Esoterikern in die Hände. Die Rationalisten sehen dabei schlimmstenfalls schlecht aus, und bestenfalls ist die Diskussion völlig sinnlos, weil ohne Ergebnis.
Werde ich trotzdem zuschauen? Vielleicht, wenn mich die Langeweile plagt, und wenn ich ein passendes Beißholz finde.