RatioBlog
Kritische Betrachtungen über Naturwissenschaften, Alternativmedizin, Alltagsmythen, Parawissenschaften und Wissenschaft in den Medien

17.
Oktober
2011

Pseudowissenschaft bei der „Langen Nacht der Wissenschaften”

Geschrieben von Michael Hohner am 17. Oktober 2011, 07:36:36 Uhr:

In einer ganzen Reihe von Städten und Regionen gibt es mittlerweile Veranstaltungen einer „Langen Nacht der Wissenschaften”. Universitäten und andere Hochschulen, Forschungsinstitute, Unternehmen und z. B. auch Krankenhäuser öffnen an einem langen Abend ihre Labore für die Öffentlichkeit und bringen der Bevölkerung ihre Arbeit näher, mit Vorträgen und Demonstrationen. Gerade Technologieunternehmen betreiben strenggenommen oft keine oder nur am Rande Wissenschaft. Aber das „dynamische Duo” Wissenschaft und Technologie arbeitet eng zusammen und befruchtet sich gegenseitig: Neue Ergebnisse der Wissenschaft werden in neue Technologie umgesetzt, und neue Technologie unterstützt und ermöglicht neue Wissenschaft. Deswegen darf man den Titel der Veranstaltung hier nicht allzu wörtlich nehmen. Mit einer gewissen Verwunderung kann man aber schon aufnehmen, wenn das Programm mit Veranstaltungen unterfüttert wird, die eindeutig fern von Wissenschaft und eher kultureller Art sind. Aber das ist wohl wie der Getränkestand bei einer Musikveranstaltung: ist keine Musik, gehört aber irgendwie dazu. Was man jedoch nicht mehr mit einem Schulterzucken ignorieren kann, und was richtiggehend ärgert, ist wenn sich ausgewachsene Pseudowissenschaften ins Programm mogeln und den Windschatten der echten Wissenschaften für sich nutzen wollen.

So auch bei der „Langen Nacht der Wissenschaften” in der Region Nürnberg-Fürth-Erlangen am 22. Oktober 2011. Im Programmheft finden sich hier die folgenden höchst zweifelhaften Angebote:

NLP

Das Künstlerhaus K4 hat, wie schon vor zwei Jahren, gleich eine ganze Reihe von Vorträgen zum Thema Neurolinguistische Programmierung, kurz NLP, im Programm. Da gibt es so originelle Themen wie „NLP und Finanzen” oder zu später Stunde „Flirten mit NLP”. Nach den Vortragstiteln zu urteilen wird man durch NLP scheinbar schlau, reich, lustig, überzeugend, gesund und sexy.

NLP ist die Idee, dass man durch eine bestimmte – manche würden sagen, agressive – Form der Gesprächsführung eine Dominanz über sein Gegenüber erreichen kann, von der aus man seine eigenen Ziele durchsetzen kann, z. B. um einen Verkaufsabschluss zu erreichen.

Das alles basiert angeblich auf solider Neurowissenschaft. Seltsam nur, dass in den entsprechenden Lehrstühlen der Universitäten NLP kein Thema ist. NLP ist weder Lehrinhalt noch Forschungsgegenstand an den Hochschulen. In der wissenschaftlichen Literatur wird NLP hauptsächlich kritisch beurteilt. Fundierte Nachweise zur Wirksamkeit der Methode fehlen. Auch die Entstehungsgeschichte von NLP birgt einige auffällige Warnzeichen. NLP wurde in den 1970er Jahren vom Psychologiestudenten Richard Bandler und dem Linguisten John Grinder aus Gesprächsprotokollen von Psychotherapiesitzungen „destilliert”. Sie formulierten daraus die grundlegenden Theorien der NLP. Statt aber, wie sonst in der Wissenschaft üblich, diese Theorien in der Fachwelt zu diskutieren und schlüssig auf Richtigkeit überprüfen zu lassen, begannen Sie mehr oder weniger sofort, NLP als neue Therapie- und Selbsthilfemethode zu vermarkten und Bücher, Kurse und Weiterbildungen an Verkäufer, Manager und New-Ager zu verkaufen. Die fehlende Wissenschaftlichkeit war dabei kein Hindernis.

Am Ende ist NLP nicht mehr als eine aufdringliche Form der Kommunikation. NLP hat keine soliden wissenschaftlichen Grundlagen, und die größten Erfolge der NLP im richtigen Leben scheinen zu sein, Seminare und Bücher zum Thema NLP an den Mann oder an die Frau zu bringen.

Life Kinetik®

Im „Haus der Athleten” wird Life Kinetik vorgestellt, mit dem Motto „Wahrnehmung + Gehirnjogging + Bewegung = mehr Leistung”. Es bleibt einigermaßen schwammig, was bei der Veranstaltung genau passiert. Bei der Recherche findet man aber sofort etliche rote Fähnchen:

  • Schon das ® hinter dem Namen gesehen? Ja, der Name der Methode ist ein eingetragenes Warenzeichen. Offensichtlich steht hier nicht die Methode an sich im Vordergrund, sondern der kommerzielle Schutz derselben. Schonmal einen Vortrag zu „Schwerkraft®” oder auch „Kniearthroskopie®” gesehen? Nein?
  • Auf der Homepage von Life Kinetik® findet man wenig Wissenschaft (genaugenommen: keine), dafür aber die üblichen Hurrah-Statements von Prominenten (man könnte auch sagen, die „Parade der Leichtgläubigen”).
  • Man ist sich nichtmal zu blöd, die ältesten Psycho-Mythen aufzuwärmen, z. B. „Jeder Mensch nutzt seine 100 Milliarden Gehirnzellen anders, aber keiner schöpft die riesigen Möglichkeiten auch nur annähernd aus.” Klingt nach „wir nutzen nur 10% unseres Gehirns”? Ist auch der gleiche Unsinn.
  • Angeblich muss man nur 1 Stunde in der Woche irgendwelche Übungen durchführen, um das „Gehirn zu optimieren”, alles ohne anstrengende Wiederholung von Bewegungen. Und das hilft dann in allen Lebensbereichen, nicht nur im Sport.
  • Es ist von „Gehirnjogging” die Rede, also von der Idee, man könnte durch das Lösen von ein paar simplen mentalen Aufgaben die allgemeine geistige Leistungsfähigkeit oder sogar die körperliche Leistung steigern. In Wirklichkeit wird man lediglich besser im Lösen von genau den Arten von Aufgaben, die man trainiert hat. Diese Verbesserung überträgt sich kaum bis gar nicht auf das Lösen andersartiger mentaler Aufgaben, und schon gar nicht auf eine körperliche Leistungssteigerung.

Alles in allem riecht das stark nach einer Variante von Edu-Kinestetik, einem pseudowissenschaftlichen bis esoterischen Konzept. Diese hat keine wissenschaftlichen Grundlagen, und konkrete Wirksamkeitsnachweise fehlen. Wieder scheint der größte Erfolg der Methode im wahren Leben zu sein, Kurse und Franchise-Lizenzen über eben diese Methode in klingende Münze umzusetzen.


Die „Lange Nacht der Wissenschaften” ist im Prinzip eine tolle Veranstaltung. Die Organisatoren sollten sich aber beim nächsten Mal etwas genauer anschauen, wen sie in den Katalog aufnehmen. Besuchern rate ich, sich an die echten Wissenschaften zu halten. Sonst stellt man vielleicht enttäuscht fest, dass es bei der Musikveranstaltung nicht nur einen Getränkestand gibt, sondern dass der Typ auf der Bühne nur Luftgitarre spielt.


Weiterführendes Material: